Читать книгу Die Bargada / Dorf an der Grenze. Eine Chronik онлайн

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Orsanna begriff, daß die Alte ihr Geheimnis erraten hatte. Es beunruhigte sie, denn sie traute der Tante keine Verschwiegenheit zu. Hätte sie sagen sollen, was sie als Folge eines Geschwätzes mehr fürchtete, ihren Heiratsplan gefährdet zu sehen oder ihre Nächte mit Giovanni, sie wäre in Verlegenheit geraten. Denn das war zweierlei. An eine Heirat mit Giovanni hatte sie gedacht, ohne ihn zu lieben. Eine Heirat war eine Sache für sich: die Möglichkeit, sich die erste Stelle auf der Bargada zu erobern. Nun liebte sie aber Giovanni. Und das wiederum war eine Sache für sich.

Es gab Tage, an denen alles andere dagegen verblaßte. Wie im Traum verrichtete sie ihre Arbeit, eilte hin und her, gab Auskunft, ordnete an, aber ihre Gedanken waren nicht dabei. Wenn sie nachts endlich ihre Kammer aufsuchte, brach die mühsam zurückgehaltene Leidenschaft hervor. Sie warf sich vor dem Bett auf die Knie, wie zum Gebet, sie zitterte und stöhnte, rollte ihren Kopf, daß ihre Zöpfe sich lösten, und biß in die Kissen. Mit stechender Lust überließ sie sich der Erinnerung an die Freuden ihrer letzten Nacht, genoß sie in ihrer Vorstellung wieder und wieder, bis ihr Sinn sich verwirrte und ihr Herz in wilden Schlägen zuckte, als wollte es zerspringen. Dann trieb es sie, davonzuschleichen und zum Geliebten zu eilen, um sich zu vergewissern, ob auch er ihrer Liebe gedenke. Die Furcht, jüngere und schönere Mädchen könnten ihn ihr abspenstig machen, quälte sie grausam und ließ ihr keine Ruhe. Vor allem jene Alda, die nach des Vaters Plan als Bernardos Frau auf den Hof hätte ziehen sollen und ihr schon damals ein Dorn im Auge war, gab ihr jetzt wieder und ärgeren Grund zu Eifersucht. Es hieß von ihr, sie erlaube den Burschen mehr, als sich schicke. Orsanna hatte bemerkt, dass Giovanni gerne seine Arbeit unterbrach, um mit ihr zu schäkern, wenn sie zufällig des Weges kam. War es zufällig? Sicher wußte sie es zu berechnen und einzurichten, daß sie ihn tagtäglich irgendwo an der Straße traf, während sie, Or­sanna, auf dem Hof festgehalten war. Sicher trieben es die beiden zusammen, lachten wohl über sie, die alte Jungfer, der die Liebe so den Verstand geraubt hatte, daß sie nicht mehr klar sah. Doch halt, so weit war es noch nicht. Sie stellte sich das Mädchen vor: blond wie ein ­Sonnenstrahl, von weißer Haut und zierlich gedreht. Und sie dagegen? Sie betrachtete sich im Spiegelchen. Schwarze flackernde Augen unter fast zusammengewachsenen Brauen; graue, eingefallene Wangen, trockene Lippen. Sie befühlte ihren Körper. Er war von der schweren Arbeit mager und sehnig geworden. Vergebens, nach verführerischer Rundung zu suchen. Wie ein schimmliges Stück Schwarte, verglichen mit einem knusperigen Zuckerbrötchen, dachte sie, vom Neid gegen die Bevorzugte durchbohrt, daß sie aufschrie.

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