Читать книгу Mich hat niemand gefragt. Die Lebensgeschichte der Gertrud Mosimann онлайн

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Zu meinem Glück ist Hedi da, bei meiner Ankunft etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt. Es ist immer freundlich zu mir und vermittelt mir Geborgenheit. Eigentlich bin ich nicht bei der Bucherin zu Hause, sondern beim Hedi. Sein Zwillingsbruder Walter treibt seine Spässe mit mir, lässt mich auf den Knien reiten und schwingt mich wild herum. Einmal schlage ich dabei den Kopf so heftig an, dass die Beule heute noch zu sehen ist. Der Bucher ist nicht der leibliche Vater der beiden Kinder, er ist gut zu ihnen und zu mir, ein bedächtiger Mann mit dunklem Schnurrbart.

Am Abend nimmt mich Hedi in die Küche. Wir putzen Schuhe miteinander, ich kratze den Dreck weg, Hedi reibt die Wichse ein, und ich glänze sie. Diesen Teil der Arbeit liebe ich besonders, ich bin stolz, wenn ich die Schuhe auf Hochglanz polieren kann. Hedi singt viel, und ich brumme mit. Ich darf mir Lieder wünschen, «Petrus schliesst die Türe zu» oder «Die lieben gold'nen Sterne» – Gassenhauer und Heimatlieder.

Manchmal flickt der Bucher abends in der Küche die Schuhe. Oder er rasiert sich, und ich muss ihm Papier bringen, damit er das Messer daran abwischen kann. Voller Interesse betrachte ich den Rasierschaum mit den komischen Härchen drin – ich muss ihn ganz nah vor die Augen halten, um sie zu sehen –, bevor ich das Papier in den Abfalleimer werfe. Nach der Arbeit behandelt er den Rücken seiner Frau mit dem Violettstrahler und macht ihr einen Eiswickel. Das Eis muss ich in Würfeln oder Scheiben beim Metzger holen. Er wickelt ihren ganzen Kopf ein, zuletzt sieht man nur noch den Mund, die Nase und knapp unter dem Verband die Augen, zum Fürchten! So geht sie zu Bett, das soll ihre Schmerzen lindern.

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