Читать книгу Mich hat niemand gefragt. Die Lebensgeschichte der Gertrud Mosimann онлайн

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An einem Nachmittag werde ich zum Schularzt befohlen. Der ist ein barscher Mann, ich kann es ihm nicht recht machen.

«Stell dich da hinten an die Wand, was hat es vorn auf dieser Tafel?»

Ich schüttle den Kopf:

«Nichts.»

Ich sehe ja kaum zwei Meter weit. Menschen, die weiter entfernt sind, kann ich nur an ihren Bewegungen erkennen. Er will mir nicht glauben, schüttelt mich:

«Was steht da vorn auf der Tafel?»

«Wenn ich doch sage, dass ich es nicht sehe!»

«Wie, du gehst zur Schule und siehst nichts? Das geht doch nicht!» wettert er und schickt mich nach Hause.

Ich weine auf dem ganzen Heimweg vor mich hin. Was habe ich bloss falsch gemacht? Was kann ich dafür, dass ich nicht sehe?

Ich werde in eine Sonderschule umgeteilt, dort sind Schwerhörige, Schwachsichtige, vielleicht auch Schwachbegabte, ich weiss das nicht so genau. «Schwachsinnige», erzählt meine Mutter in der Verwandtschaft herum! Die Sonderschule ist im selben Schulhaus untergebracht wie meine bisherige Klasse. Die Lehrerin, Fräulein Otter, gewinnt sofort mein Herz. Sie erzählt uns das «Heidi» und singt mit uns «Da höch uf den Alpe». Wie ich das Heidi liebe! Ich bin doch auch so verlassen in der Welt, wenn ich nur einen Alpöhi hätte, der mich auf starken Armen auf die Alp trüge! Bei Fräulein Otter gehöre ich zu den Klassenbesten. Rechnen – das kann ich! Das habe ich bei Lehrer Binz gelernt.

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