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Die Sciora nimmt jedenfalls an, dass die Teresa immer, so­lange das Haus steht, darin leben wird.

Das Jesulein

Eines Morgens fand man den Sindaco, einen rüstigen, rotblonden Mann von vierzig Jahren, tot auf seinem Bette sitzend. Er war, während er seine Schuhe anziehen wollte, vom Schlag getroffen an die Wand gesunken und gestorben.

Die Familie des Sindaco war mit der Kirche zerfallen. Darum wünschte sie ein besonders schönes und feierliches Begräbnis auszurichten zum Beweis, dass man nicht nur ohne Kirche leben, sondern auch ohne Kirche sterben könne. Sie war es der Ehre und der Stellung des Verstorbenen schuldig und die Leute begriffen das.

Am Morgen des Begräbnistages waren sie aus allen Dörfern des Tales gekommen, viele zu Fuß, andere mit der Post, keiner wollte bei einem so außergewöhnlichen Anlass fehlen. Denn – darüber wurde im Geheimen getuschelt – was konnte sich nicht alles dabei ereignen? Der Tod des Sindaco war ungewöhnlich gewesen. So ohne einem Menschen noch ein Wort sagen zu können – abgesehen davon, dass kein Pfarrer ihm auf den letzten Weg verholfen hatte und er nun vielleicht als Geist herumirrte, wenn man nicht gerade annehmen wollte, er sei schon im Fegefeuer – abgesehen davon also, so ohne einem Menschen noch ein Wort sagen zu können, sterben müssen, ist das nicht ungewöhnlich? Aber noch ungewöhnlicher war es, dass er nun auch ohne Segen der Kirche begraben werden sollte. Was konnte sich da nicht alles ereignen? Donnerschläge aus blauem Himmel, Rabengeflatter über dem Sarg, schlimme Gerüche; vielleicht wird der Sarg vor der Kirchentüre, an welcher er vorübergetragen werden muss, schwer wie Blei, die Männer können ihn nicht weiter tragen; am Ende beginnen die Glocken selbst zu läuten … ja, was konnte sich nicht alles ereignen? Bald waren der Dorfplatz und die anstoßenden Gässchen voller Leidtragende und immer kamen noch mehr dazu, Frauen und Männer. Die Frauen hatten sich die frisch gestärkte Schürze vorgebunden und das schwarze Kopftuch tief ins Gesicht gezogen. Manch eine hielt den Rosenkranz in den gefalteten Händen, bis jemand ihr bedeutete, das sei ­heute nicht am Platz. Der betende Mund blieb stehen, der Rosenkranz verschwand in der Schürzentasche, doch die Hand blieb auch darin und ließ die Kügelchen weiter durch die Finger rollen. Die Männer hatten ihr bestes Gewand angezogen und etwas auf den Kopf gesetzt. An den Kopfbedeckungen kann man erkennen, welcher politischen Richtung ihre Besitzer angehörten. Einige tragen hohe, nach oben ausladende Strohhüte in Zylinderform, mit breitem, aufgekrempeltem Rand, wie sie schon vor hundert Jahren im Tal von den Wohlhabenden getragen wurden. Sie ha­ben etwas Englisches an sich. Andere ziehen dunkle, schlichte Filzhüte vor, rund oder länglich, das ist nicht dasselbe, manchmal mit einer kleinen Vogelfeder geschmückt. Darunter gibt es eine Art grüner, kecker Filzhüte, auf einer Seite stark aufgeschlagen – das Haar muss hier buschig hervorquellen –, die den Mädchen besonders gefallen. Die meisten haben Mützen aufgesetzt, Mützen, die auf die verschiedenste Weise getragen werden, sogar verkehrt, mit dem Schild hinten im Nacken, ja solche, die ihren Schild verloren haben und so eigentlich zu den Kappen gehören, die bloß nachts im Bett zu tragen wären. Man sieht aber auch des Tags Kappen, von allen Farben und Formen und Größen, aus Stoff, Lappen, Fell. Heute werden aber alle diese Kopfbedeckungen nicht als Abzeichen getragen, sie werden nur getragen, um abgenommen zu werden vor dem toten Manne, den sie alle gleicherweise verehrt haben. Denn der Sindaco war ein gerechter Mann gewesen, einfach und gütig, trotz seines Geldes, sagen alle.

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