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Als Nero Schritte hörte, misstraute er seiner Wahrneh­mung und dachte, er vernehme das Prasseln eines großen Feuers jenseits der Sträucher, die am Weg standen; dort war aber kein Rauch: Ein Mädchen – er sah einen Augenblick lang seine nackten, geraden Beine, dann wurden sie von den Bäumen, die sich wie gestärkte Frauenkleider aufgebläht im Garten umhertrieben, verdeckt – ging dem Zaun entlang und näherte sich dem Gartentor. Wenn Nero die Augen halb zukniff, sah er deutlich dort hinten einen steil ansteigenden Friedhof. Doch nun blieben seine Augen weit offen, standen ganz ruhig, schwarz und rund wie Zielscheiben.

Aglaia kam durch den Garten und schritt, den Schirm zuklappend, da es nicht mehr regnete, gegen das Haus. Nero versuchte, sich eines Wortes zu entsinnen, das eine Vorstel­lung ausdrückte, die ihn seit seiner Kindheit nicht losließ und die er einmal, nein, mehrere Male, hatte erleben, hatte auskosten wollen. Viele Worte fielen ihm ein: Traum, Trance, Ohnmacht, Leidenschaft, Wahnsinn, Sucht … Nein, das war es nicht; plötzlich wusste er es: Ekstase. Nero ärgerte sich, da in diesem Augenblick eine Kuh auf der Weide vor dem Haus muhte; der Klang befremdete ihn, da er nicht warm und satt war und nicht zum Bimmeln der Kuhglocken passte. Das Rufen des Tieres glich einem quälenden, leidvoll fragenden Trompetenton, der sich einige Male – auch als er ihn nicht mehr bewusst wahrnahm – wiederholte. Flüchtig fragte er sich, ob es wohl ein Stier sei, der da aus einer beängstigenden Unruhe heraus schrie, dann ging er durch das dunkle Haus die Steintreppe hinunter; seine Schritte hallten. Er öffnete die Haustür und hatte das Empfinden, er falle in die Augen des Mädchens, die unnatürlich weit und hell waren. Ihr kleiner Körper erinnerte ihn an den Körper des Mauerseglers, eines Vogels, der nicht mehr auffliegen kann, wenn er auf die Erde gefallen ist. Seltsam hilflos stand sie da und hielt den Schirm, der nicht ganz geschlossen schien, ein wenig von sich, damit das Wasser nicht auf die Füße tropfte. Vage hob sie die Hand, wandte sich um, fragte: «Kommt man dort irgendwohin?», und folgte Nero ins Haus. Sie setzte sich auf einen der niederen, geflochtenen Stühle an den Esstisch und zog die Knie herauf; so blieb sie, die angezogenen Beine mit den weißen Armen umklammernd. Nero sah erst jetzt, dass sie keine Schuhe trug, und musste beinah lachen, wenn er sich vorstellte, wie sie unter dem Schirm barfuß gewandert war. Er brachte auf den Tisch, was er an Esswaren und Getränken im Kühlschrank fand, doch Aglaia rührte nichts an. Sie sagte mit bedeutungsvoller Miene: «Ich finde es wichtig zu wissen, wo man sich befindet», und ihr Seerosenblick schaukelte im Raum. Sie war fast noch ein Kind mit Lippen, die aussahen, als ob sie sie blutig gebissen hätte. Einmal warf die Sonne ein goldenes Netz herein, das eine Zeitlang auf ihrem Haar lag. Nero war es bewusst, dass er dieses Bild – Aglaia am Tisch, er selber ihr gegenübersitzend, hinter dem Fenster Wolken, leicht wie ausgedrückte Schwämme – während Tagen, Wochen und Jahren als Bestandteil seiner Erin­nerungen betrachten würde, und ein großer Schrecken ergriff ihn vor seiner Einsamkeit. Er nahm wahr, dass Aglaia mit einer Stimme zu reden begann, die ihn an flockige Wolle erinnerte, die sofort reißt; die Stimme war aber angenehm – weder zu rau noch zu glatt. Sie sprach, wie sich eine Heuschrecke fortbewegt, ohne aber wahrscheinlich die Zu­sammenhanglosigkeit ihrer Sätze zu empfinden. Sie stellte Verbindungen zwischen weit auseinanderliegenden Bege­benheiten her, breitete ihre Gedanken wie in einem Taumel vor ihm aus, doch er konnte ihrer Rede nicht folgen, schweifte ab, fragte sich, ob es möglich sei, einen Menschen ganz auszuschöpfen, bis auf den Grund seiner Seele vorzustoßen und an seine Grenzen zu gelangen. Er war entschlossen, Aglaia, nötigenfalls mit Gewalt, bei sich zu behalten. Er nahm an, dass sie von zu Hause ausgerissen oder aus einem Heim geflüchtet wäre und von der Polizei gesucht würde, doch es schien ihm unwahrscheinlich, dass es ihm misslingen könne, sie vor aller Augen zu verbergen. Er beschloss, die Fensterläden zu schließen, die beiden Türen des Hauses zu verrie­geln, niemanden einzulassen und Aglaia zu bewachen, vielleicht sogar zu fesseln, denn er stellte sich vor, dass er, falls es ihr einfiele, um ihre Freiheit zu kämpfen, der Unterlegene sein würde.

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