Читать книгу Lochhansi oder Wie man böse Buben macht. Eine Kindheit aus der Innerschweiz онлайн
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Mit uns am Tisch sass zu dieser Zeit auch die jüngere Schwester meiner Mutter. Sie war schwanger, und ihr Mann war nur am Wochenende da. Beide bewohnten sie die obere Wohnung, er arbeitete als Holzer bei den Förstern, sie half so viel wie möglich meiner Mutter aus, vor allem in der Hauswirtschaft. Sie hatten noch keine Kinder, das muss also im Jahre ᾽44 gewesen sein, denn in diesem Jahr wurde ihnen ein Töchterchen geboren. Das war auch das Jahr, als die beiden Bacherbuben im See ertranken, zwei Cousins, die beide gleich alt waren und den gleichen Namen trugen. Das Wasser war keinen Meter tief, wie sie das gemeinschaftliche Ertrinken angestellt haben, habe ich mich oft gefragt, beide waren damals in der Rekrutenschule und im ersten Urlaub zu Hause. Aber da geschah so vieles um mich her, das ich nicht erklären konnte. Das Unverständlichste war wohl die Sache mit der Religion.
Religiöses war mir bis anhin unbekannt. Ich kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass ich unbeschadet und unbeschwert von Begriffen wie Schuld und Sünde, Gott und Teufel, Himmel, Hölle und Fegefeuer meine ersten Lebensjahre verbracht habe. Das alles änderte sich hier nun schlagartig, alles war hier mit Religion und frommen Ritualen erfüllt, in jedem Zimmer hing ein Weihwassergefäss, ein Rosenkranz lag in der Tischschublade, ein Stechpalmenzweig stak auf jedem Türsturz. Natürlich gab es den Herrgottswinkel in der Stube, an der Wand das Bild der Heiligen Familie und des guten Hirten hing in bunten Farben über dem elterlichen Ehebett. Über meinem Schlafplatz schwebte die Madonna von Raffael, die vatikanische mit den zwei schmierigen Puttos am unteren Bildrand, dazu das Bild des gütigen Schutzengels, der das Kinderpaar über die gefährliche Brücke geleitet, während in der Tiefe der Schlucht der Wildbach tost. So gab es nun auf einmal einen Liebgott, der im Himmel sass, und einen Teufel in der Hölle. Dazu Dämonen, Geister, Engel und Heilige, alles war erfüllt von Wesen, von denen ich bis anhin keine Ahnung hatte.