Читать книгу Die Brille des Nissim Nachtgeist. Roman. Die Emigrantenpension Comi in Zürich 1921-1942 онлайн
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Die Pension Comi verfügte über etwa dreissig Zimmer. Beim Rundgang durch das grosse Haus erklärte mir Helen, dass die Comi eigentlich aus zwei Häusern bestand, die man aber für den Pensionsbetrieb zu einem Haus gemacht hatte, indem man auf jeder Etage die trennende Wand mit einem kleinen, schmalen Gang durchbrach.
«Sie sind ja schlank, wir hatten Pensionäre, die Mühe hatten hindurchzukommen.» Sie lachte und drehte im dunkler werdenden Gang den Kopf zu mir.
Schon am gleichen Tage benutzte ich diesen Gang allein. Ich musste dabei Eimer und Besen vor mir hertragen, so dass am Ende des Ganges zuerst die Putzsachen herauskamen, und dann ich selbst. Und bald hatten auch die Pensionäre zur Kenntnis genommen, dass ich kein neuer Gast, sondern Zimmermädchen war.
Von Olga erfuhr ich, dass die meisten von ihnen jüdische Flüchtlinge waren.
«Sie sind grosszügig zu unsereinem, verwöhnen ihre Frauen und lieben ihre Kinder», sagte Olga. «Ihr seid gemein zu den Juden in Deutschland.» Ich schwieg, und Olga hielt mich womöglich für verstockt, dabei fühlte ich mich wie ein Wasservogel, der Öl an den Flügeln hatte, und doch weiterfliegen wollte. Ich dachte an Ruth Havemann – Gott, waren die Jungs hinter ihr her! Ruth war das schönste Mädchen im Schwimmclub Concordia. Als Ruth mit ihrer Familie Deutschland verliess, sagte sie beim Abschied zu mir: «Es ist, weil wir Juden sind.» Ich schämte mich; hatte ich sie als Jüdin gekannt oder sie mich als Nichtjüdin? Ich hatte sie vor allem wegen ihrer Schönheit beneidet. Ruth war sehr gut auf hundert Meter, sie hatte an den letzten Klubmeisterschaften noch teilgenommen. Durch Ruths Ächtung aber wurde ich geachteter, ich schwamm – nach ihr – Bestzeiten, Bestzeiten der Damen bei der «Concordia», ohne freilich Ruths Zeiten erreicht zu haben. Dabei hatte ich dafür nicht einen Beinschlag mehr gemacht beim Training in den Ohlendorffer Badeanstalten.