Читать книгу Die Brille des Nissim Nachtgeist. Roman. Die Emigrantenpension Comi in Zürich 1921-1942 онлайн

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Der Vater hatte die Havemanns beneidet. «Es ist ein Glück, dass die Juden überall Verwandte haben. Unsereiner könnte nirgends hin. Ein Mensch ohne Beziehungen ist ein Krüppel sein Leben lang.»

«Hast du bei besseren Leuten in Deutschland gedient?»

Olga sass am langen Küchentisch. Sie trug ein weisses Kopftuch, und schälte rote Beete, die sie Randen nannte.

«Ich fing in einer armen Familie an. Es war eine jüdische Familie, sie hiessen Nissensohn. Grossvater Nissensohn musste die Kinder hüten, seine Tochter stickte Monogramme für ein vornehmes Wäschegeschäft am Jungfernsteg, und ihr Mann war auf Auktionen tätig. Ich blieb nicht sehr lange bei ihnen, weil meine Mutter nicht wollte, dass ich die grosse Wäsche mache.»

«Es gibt immer Familien, die unsereinen ausnutzen wollen.» Olga erzählte mir, dass in der Comi manchmal Pensionäre wohnen, die einen falschen Namen angaben … «Heisst du wirklich Lisette?»

Wie oft habe ich meinen Namen erklären müssen, der das politische Glaubensbekenntnis meines Vaters war: Die französischen Vorfahren – eingehüllt in das geheimnisvolle Wort «Hugenotten» – verarmten. Die Nachfahren waren deutsche Tagelöhner, die im Weltbild meines Vaters wieder zu Motoren der Zeit wurden: als Anhänger und Verehrer von Bebel, Liebknecht und Luxemburg glaubte mein Vater an Gleichheit und Brüderlichkeit. Er glaubte auch an Völkerverständigung, und «Lisette» verband für ihn Deutschland und Frankreich, die beiden ehemaligen Erbfeinde. «Lisette» internationalisierte den in Norddeutschland üblichen Namen Liese und war vor allem nicht zu verwechseln mit Luise. Es verbitterte meinen Vater, dass «mitten in der Republik», im Andenken an die grosse Königin, noch ein Luisenbund existierte, der den Töchtern des Landes zurief: «Werdet Luisenhaft!»

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