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Freundlich von den Damen ins Erdgeschoß zurückgeleitet, verabschiedete er sich mit dem Versprechen, bald wiederzukommen. Auf der Straße wurde er sich der Leere dieses Besuches bewußt; er dachte daran, wie die Damen von Bertrands Reden bestürzt wären und er wünschte sogar, sie könnten ihn einmal hörer.
Wenn ein Mensch sowohl infolge der kastenmäßigen Abgeschlossenheit seines Lebens, als auch infolge einer gewissen Trägheit des eigenen Gefühls die Gewohnheit angenommen hat, den Nebenmenschen zu übersehen, so muß es ihm selber auffallen und verwunderlich erscheinen, wenn sein Auge von zwei fremden jungen Leuten gefesselt wird, die sich in seiner Nähe unterhalten. Solches widerfuhr Joachim eines Abends im Foyer des Opernhauses. Die beiden Herren waren offenbar Ausländer und hatten die Zwanzig nicht viel überschritten; am ehesten hätte er sie für Italiener gehalten, nicht nur, weil der Schnitt ihrer Anzüge ein wenig außergewöhnlich schien, sondern weil der eine, schwarzäugig und schwarzhaarig, den italienischen Knebelbart trug. Und obwohl es Joachim widerstrebte, auf die Gespräche anderer Leute zu horchen, ward ihm dennoch inne, daß sie einer fremden Mundart sich bedienten, die aber nicht die italienische war, so daß er sich gezwungen fühlte, näher hinzulauschen, bis er mit einem kleinen Schreck zu erkennen glaubte, daß die beiden jungen Leute tschechisch, oder wie es richtiger hieß, böhmisch sprachen. Unbegründet war dieser Schrecken und noch unbegründeter erschien ihm das Gefühl der Untreue gegenüber Elisabeth, das sich dazu einstellte. Natürlich war es möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß Ruzena sich hier im Theater befände und daß die beiden jungen Leute sie ebenso in ihrer Loge aufsuchen würden, wie er selber manchmal Elisabeth in der ihrigen besucht hatte, und vielleicht hatte der junge Mann mit dem schwarzen Bärtchen und dem allzu gelockten schwarzen Scheitel wirklich eine Ähnlichkeit mit Ruzena, nicht bloß der Haarfarbe wegen: es war vielleicht der nämliche etwas zu kleine Mund, dessen Lippen sich zu deutlich von der gelblichen Haut abhoben, diese zu kurz und zu zierlich geratene Nase und das Lächeln, das irgendwie herausfordernd war - ja, herausfordernd war das richtige Wort-, und trotzdem um Verzeihung bat. Dennoch schien solches ungereimt und es mochte auch sein, daß er sich diese Ähnlichkeit nur einbildete; denn wenn er jetzt an Ruzena dachte, so mußte er sich eingestehen, daß ihr Bild völlig verblaßt war, ja daß er sie auf der Straße sicherlich nicht erkennen würde und daß er sie bloß durch die Maske und das Medium jenes jungen Mannes zu sehen vermochte. Das beruhigte ihn und machte die Angelegenheit irgendwie gefahrlos, ohne daß man dessen froh werden konnte, denn gleichzeitig und in einer anderen Schicht fühlte er es als etwas Unsagbares und Furchtbares, daß das Mädchen hinter der Maske eines Mannes verborgen war und dieser Gedanke wollte ihn auch nach der Pause nicht loslassen. Man gab den »Faust« und die süßen Klänge waren nicht minder sinnlos als das opernhafte Geschehen, in dem kein Mensch, und auch Faust selber nicht, es bemerkte, daß in den geliebten Zügen Margaretens das Antlitz Valentins verborgen liegt und daß Margarete dafür und für nichts anderes zu büßen hat. Vielleicht wußte es Mephisto, und Joachim war froh, daß Elisabeth keinen Bruder hatte. Als er dem Bruder Ruzenas nach der Vorstellung nochmals begegnete, fühlte er dankbar, daß damit auch die Schwester ihm verboten war, und er fühlte sich so sicher, daßertrotz seiner Uniform den Weg in die Jägerstraße einschlug. Und auch das Gefühl der Untreue war verflogen.