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Ruzena war von der steifen Konvention entzückt, mit der Joachim sie im Restaurant behandelt hatte, und sie vergaß darüber sogar die Enttäuschung, daß er in Zivil gekommen war. Der Tag war regnerisch und kühl; dennoch hatte sie auf ihr Programm nicht verzichten wollen und so waren sie nach dem Mittagessen nach Charlottenburg und an die Havel gefahren. Schon in der Droschke hatte Ruzena Joachims Handschuh abgestreift, aber jetzt, da sie den Uferweg entlanggingen, hatte sie seinen Arm genommen und unter den ihren geschoben. Sie gingen langsam, schritten in einer Landschaft, die erwartungsvoll war vor Stille, und dennoch nichts anderes erwarten konnte als den Regen und den Abend. Der Himmellag weich darüber, oftmals durch Regenstriche mit der Erde wie zu innigerer Einheit verbunden, und auch für sie, wandelnd in der Stille, war es so, als ob ihnen nichts zurückgeblieben wäre denn Erwartung, als wäre alles, was in ihnen lebendig gewesen, in ihre Finger geflossen, die ineinandergelegt und ineinandergefaltet ruhten wie die Blätter einer geschlossenen Knospe. Schulter an Schulter gelehnt, von weitem einem Dreieck gleichend, gingen sie den Uferweg, stumm, denn sie wußten beide nicht, was sie zueinandergeweht hatte. Doch unversehens, während sie gingen, hatte Ruzena sich über seine Hand gebeugt, die in der ihren gefesselt lag, und hatte sie geküßt, noch ehe er sich freimachen konnte. Er schaute in Augen, die voll Tränen standen, auf einen Mund, der zum Weinen schon zuckte, doch noch sagte: »Wie bist mir auf Stiegen entgegen, hab' ich gesagt, Ruzena, hab' ich gesagt, ist nicht für dich, ist nie für dich. Und jetzt bist da... « Aber sie gab ihm die Lippen nicht zum erwarteten Kuß, sonden fiel, gierig fast, nochmals mit dem Gesicht auf seine Hand, und als er es nicht dulden wollte, biß sie sich fest, nicht arg, sondern so vorsichtig und zart wie ein kleiner Hund, der spielt; dann das Mal befriedigt betrachtend, sagte sie: »Jetzt gehme weiter spazieren. Regen schadet nicht.« Sanft sank der Regen in den Fluß, rieselte leise in den Blättern der Weiden. Ein Kahn lag halb ertränkt im Uferwasser; unter einem kleinen Holzsteg mündete ein Rinnsal mit raschecem Gefälle in das ruhige Gewässer des Flusses und Joachim fühlte auch sich fortgeschwemmt, als wäre das Sehnen, das ihn erfüllte, ein weiches, lindes Fließen seines Herzens, ein atmendes Gewässer, bangend danach, im Atem geliebten Mundes aufzugehen und zu vergehen wie in einem See unermeßlicher Stille. Es war, als taute der Sommer, so wurde das Wasser erst lind, rieselte es von den Blättern, Tautropfen die Gräser behangen. Ein sanfter Nebelschleier stand in der Ferne, und wandten sie sich um, so hatte er sich auch hinter ihnen geschlossen, so daß ihr Schreiten wie ein Ruhen war; setzte der Regen stärker ein, suchten sie Schutz bei den Bäumen, unter denen der Boden noch trocken lag, ein Flecken trockenen unerlösten Sommerstaubes, fast armselig in all der Gelöstheit ringsum; Ruzena zog die Nadeln aus dem Hut, nicht bloß weil der städtische Zwang sie störte, sondern auch um Joachim vor den scharfen Spitzen zu bewahren, nahm den Hut ab und lehnte sich mit dem Rücken an Joachim, als wäre er der schützende Baum. Ihren Kopf hatte sie zurückgebeugt, und senkte er sein Gesicht, so berührten seine Lippen ihre Stirn und die Locken, die schwarz sie rahmten. Er sah nicht die dünnen und ein wenig dummen Querfalten auf der Stirn, vielleicht weil er zu nahe war, um sie zu unterscheiden, vielleicht weil alles Schauen zu Fühlen aufgetaut war. Sie aber fühlte seine Arme um sie geschlungen, seine Hände in den ihren, fühlte sie sich wie im Geäst des Baumes, und sein Atem auf ihrer Stirn war wie das Rieseln des Regens in den Blättern; so unbewegt standen sie, und der graue Himmel wurde so eins mit der Wasserfläche, daß die Weiden der Insel drüben wie in einem grauen See schwebten, aufgehängt oben oder ruhend unten, man wußte es nicht. Doch dann betrachtete sie die nassen Ärmel ihrer Jacke und bedeutete leise, daß sie umkehren müßten. Nun schlug ihnen wohl die Nässe ins Gesicht, aber sie durften nicht eilen, denn es hätte den Zauber zerbrochen und sie wurden seiner erst wieder sicher, als sie in der kleinen Schenke Kaffee tranken. An den Scheiben der ländlichen Glasveranda rann der Regen nun immer dichter herab und von der Dachrinne plätscherte es dünn. Ging die Wirtin aus dem Raum, setzte Ruzena ihre Tasse hin, nahm ihm die seine aus der Hand und packte seinen Kopf, zog ihn herüber, ganz nahe zu ihren Augen, so nahe und doch immer noch kußlos, daß ihrer beider Blicke schmolzen und die Spannung schier unerträglich war in ihrer Süße. Als sie aber in der Droschke unter dem aufgestellten Dach mit der heruntergelassenen Regenklappe wie in einer dunklen Höhle saßen, leises, sanftes Trommeln der Tropfen auf dem gespannten Leder über sich, nichts sahen als den Pelerinenrand des Kutschers und von der Welt nicht mehr als die zwei grauen nassen Streifen des Fahrdammes in den Ausschnitten links und rechts und bald auch dies nicht mehr sahen, da beugten sich ihre Antlitze ineinander, mündeten und vergingen ineinander, ruhend und fließend wie der Fluß, verloren und uneinbringlich, immer wieder gefunden und im Zeitlosen untergetaucht. Es war ein Kuß, der eine Stunde und vierzehn Minuten währte. Dann hielt der Wagen vor Ruzenas Haus. Doch als er mit ihr eintreten wollte, schüttelte sie den Kopf und er wandte sich zum Gehen: aber der Schmerz dieses Abschiedes war so groß, daß schon nach wenigen Schritten er umkehrte und die Hand ergriff, die unbewegt sehnend noch ausgestreckt war, gezogen von der eigenen Bangigkeit und hingezogen von der ihren, wie im Traume schon beide, schlafwandelnd sie hinaufstiegen, die dunkle Treppe, die unter den Füßen knarrte, dunklen Vorraum durchquerten und in dem Zimmer, das im Schatten früher Regendämmerung lag, hinsanken auf den rauhen Teppich, der das Bett dunkel bedeckte, den Kuß wieder suchten, aus dem sie gerissen worden waren, ihre Gesichter feucht von Regen oder von Tränen, sie wußten es nicht. Ruzena aber machte sich frei, führte seine Hand zu den Haften, die ihre Taille am Rücken verschlossen ünd ihre singende Stimme war dunkel: »Mach auf das«, flüsterte Ruzena, riß zugleich an seiner Krawatte und den Knöpfen seiner Weste. Und wie in plötzlich jäher Demut, sei es vor ihm, sei es in Dankbarkeit vor Gott, fiel sie auf die Knie, den Kopf an der Bettkante, riß sie die Knöpfe seiner Schuhe auf. Oh, wie war dies fürchterlich, warum nicht hinsinken, unerinnert an die Futterale, in denen sie steckten, und doch, wie war er ihr dankbar, daß rührend sie es erleichterte: oh, Erlösung ihr Lächeln, mit dem sie das Bett aufschlug, in das sie stürzten. Noch störte das scharfkantige, gestärkte Plastron des Hemdes, das ins Kinn sie stach, und es öffnend und das Gesicht zwischen die scharfen Kanten zwängend, befahl sie: »Gib weg das«, und nun war Gelöstheit und Fühlen, Weichheit des Körpers, Atem, Ersticken in Verströmtheit des Gefühls, Entzücken, das aus der Bangigkeit aufsteigt. Oh, Bangigkeit des Lebens, die aus dem lebendigen Fleisch strömt, mit dem die Knochen überlagert sind. Weichheit der Haut, die darüber gebreitet und gespannt ist, furchtbare Mahnung des Knochengerüstes, des vielrippigen Brustkorbes, den du umfassen kannst und der atmend sich an dich drängt mit dem Herzen, das an dem deinen pocht. Oh, süßer Geruch der Haut, feuchter Duft, weiche Rinne unter den Brüsten, Dunkel der Achselhöhle. Aber noch war Joachim zu verwirrt, waren sie beide zu verwirrt, um das Entzücken zu wissen, wußten bloß, daß sie beisammen waren und sich doch suchen mußten. Im Dunkel sah er Ruzenas Gesicht, doch wie dahingleitend war es, gleitend zwischen den dunkleren Ufergebüschen der Locken, und seine Hand mußte es suchen, sich vergewissern, daß es da sei, fand die Stirn und die Lider, unter denen hart der Augapfel ruht, fand die beglückende Rundung der Wange und die Linie des Mundes zum Kusse geöffnet. Welle des Sehnens schlug gegen Welle, hingezogen von der Strömung fand sein Kuß den ihren, und während die Weiden des Flusses emporwuchsen und von Ufer zu Ufer sich spannten, sie umschlossen wie eine selige Höhle, in deren befriedeter Ruhe die Stille des ewigen Sees ruht, war es, so leise er es sagte, erstickt und nicht mehr atmend, bloß ihren Atem noch suchend, wareswieeinSchrei, densie vernahm: »Ich liebe dich«, sie aufschloß, so daß wie eine Muschel im See sie sich aufschloß und er in ihr ertrinkend versank.

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