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Nun kamen viele Leute. Auf dem Hofe stand die Feuerwehr des Ortes. Auch die Kriegervereine der Umgebung hatten sich eingefunden und bildeten eine ausgerichtete Kompanie von Zylindern und schwarzen Gehröcken, auf denen nicht selten das Abzeichen des Eisernen Kreuzes zu sehen war. Die Wagen der Nachbarn fuhren vor und während die Kutschen an einen geeigneten schattigen Platz gewiesen wurden, hatte Joachim mit der Begrüßung der Herrschaften zu tun und vor des Bruders Sarg die Honneurs zu machen. Der Freiherr v. Baddensen war allein eingetroffen, da seine Damen sich noch in Berlin befanden, und als er ihn begrüßte, wurde Joachim von dem zornig abgelehnten Gedanken ergriffen, es könnte dieser Herr den nunmehrigen Alleinerben Stolpins als erwünschten Schwiegersohn betrachten und er schämte sich für Elisabeth. Vom Giebel hing still eine schwarze Fahne und reichte beinahe bis zur Terrasse.
Die Mutter schritt am Arm des Vaters die Treppe herab. Man wunderte sich über ihre Standhaftigkeit, ja bewunderte sie. Aber vielleicht lag das bloß an der Trägheit des Gefühls, die ihr eigentümlich war. Der Trauerzug formierte sich und als die Wagen in die Dorfstraße einbogen und das Gotteshaus vor ihnen lag, freuten sich alle herzlich, daß sie aus der heißen Nachmittagssonne, die sich in das schwere Tuch der Trauergewänder und der Uniformen scharf und staubig eingebrannt hatte, in die kühle weiße Kirche eintreten durften. Der Pastor hatte eine Rede gehalten, in der viel von Ehre vorgekommen war, geschickt verbunden mit Wendungen, die auf die Ehre des Höchsten abzielten; zur Orgel erklang es, daß man vom Liebsten, was man hat, muß scheiden... ja meiden, und Joachim wartete stets auf den Reim, ob er auch eintreffen werde. Zu Fuß ging es sodann auf den Friedhof, überdessen Pforte ein »Ruhe sanft« aus goldenen Blechlettern blinkte, und die Equipagen folgten langsam in einer langgestreckten Staubwolke. Mit purpurnem Blau wölbte sich der durchsonnte Himmel über der trockenen, brüchigen Erde, die darauf wartete, daß man Helmuths Leichnam ihr übergebe, wenn es auch nicht eigentlich Erde war, sondern die Familiengruft, die, ein kleiner geöffneter Keller, gelangweilt dem Ankömmling entgegengähnte. Als Joachim die kleine Schaufel dreimal entleerte, schaute er hinab, sah die Enden der großelterlichen und der Onkelsärge und dachte, daß man einen Platz für den Vater freigehalten und wohl auch deshalb Onkel Bernhard nicht hier beigesetzt hatte. Dann aber, als die hinabgeschüttete Erde auf Helmuths Deckel und auf den Steinfliesen der Gruft verstaubte, mußte er mit seiner Spielzeugschaufel in der Hand an Kindertage im weichen Flußsand denken, sah den Bruder wieder als Knaben vor sich, sah sich selber auf dem Katafalk liegen und es schien, als hätte die Trokkenheit dieses Sommertages Helmuth nicht nur um das Altern, sondern auch um den Tod betrogen. Da wünschte sich Joachim für sein eigenes Sterben einen weichen Regentag, an dem der Himmel selbst sich herabsenkt, um die Seele aufzunehmen, damit sie in ihm verfließe wie in den Armen Ruzenas. Das waren unzüchtige Gedanken, unpassend an diesem Orte, doch nicht er allein hatte die Verantwortung dafür zu tragen, sondern auch alle anderen, denen er jetzt den Platz an der Gruftöffnung freigab, und auch der Vater hatte teil an dieser Verantwortung: denn ihrer aller Glaube war heuchlerisch, war brüchig und staubig und war abhängig vom Sonnenschein und Regen. Sollte man nicht die Armeen der Neger herbeiwünschen, damit dies alles weggefegt werde und der Heiland zu neuer Gloria aufsteige und die Menschen in sein Reich zurückführe? Der Christ hing an seinem marmornen Kreuz über der Gruft, angetan bloß mit dem Tuche, das ihm die Scham verhüllte, und mit der Dornenkrone, von der bronzene Tropfen herabbluteten, und auch Joachim fühlte Tropfen auf seiner Wange: vielleicht waren es Tränen, die er nicht gemerkt hatte, vielleicht aber kam es bloß von der lastenden Hitze; er wußte es nicht und drückte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.