Читать книгу Die Schlafwandler онлайн

31 страница из 91

Die Eltern waren sonderbar gefaßt, auch die Mutter. Der Vater begrüßte ihn mit einem Händedruck und sagte: »Er fiel für die Ehre, für die Ehre seines Namens«, und ging dann schweigend mit harten geradlinigen Schritten im Zimmer hin und her. Bald darauf wiederholte er: »Er fiel für die Ehre« und ging zur Türe hinaus.

Man hatte Helmuth im großen Salon aufgebahrt. Im Vorhaus spürte Joachim den schweren Duft der Blumen und Kränze: zu schwer für einen Kindersarg, ein obstinater und sinnloser Gedanke, und dennoch blieb Joachim zögernd in der schwerdrapierten Türe stehen, wagte nicht hinzuschauen, sah zu Boden. Die Parketten hier, die kannte er, kannte auch die Dreieckstafeln, die an die Türschwelle anstießen, kannte das Ornament, das sich fortsetzte, und da er es mit seinen Blicken verfolgt, so wie er sich als Kind bemüht hat, kunstvolle Muster darauf zu gehen, gelangt er zum Rande des schwarzen Teppichs, der unter den Katafalk gebreitet ist. Einige Blätter, von Kränzen abgefallen, liegen dort. Er hätte Lust, es wieder mit dem Ornamentweg zu versuchen, macht einige Schritte und sieht den Sarg. Es war kein Kindersarg, das war gut; aber noch schreckte er zurück, mit seinen sehenden Augen in die toten des Mannes zu schauen, in Augen, die sich so sehr erlöscht haben mußten, daß das Gesicht des Knaben darin ertrunken ist, vielleicht den Bruder nach sich ziehend, dem die Augen dennoch sich geschenkt, und die Vorstellung, er selber liege dort, wurde so stark, daß er es wie eine Erlösung und wie ein freundliches Geschick empfand, als er nähertretend erkannte, daß der Sarg geschlossen war. Irgend jemand sagte, daß das Gesicht des Toten durch die Schußwunde entstellt sei. Erhörte es kaum, blieb beim Sarg stehen, hatte die Hand auf den Deckel gelegt. Und in der Unbeholfenheit, die den Menschen vor einer Leiche und dem Schweigen des Todes überkommt, und in der alles Gegebene sich weitet und zerfällt, das Altgewohnte zerbricht und zerfallend erstarrt, die Luft dünn wird und untragfähig, war es, als würde er den Platz am Katafalk nie mehr verlassen können, und nur mit großer Anstrengung vermochte er sich zu erinnern, daß dies der große Salon war und daß der Sarg auf der Stelle stand, die sonst das Klavier einnahm, und daß am rückwärtigen Rande des Teppichs ein Stück Parkett sein mußte, das man noch nie betreten hatte; langsam ging er hin, berührte die schwarzverhängte Wand, spürte unter dem finsteren Tuche die Bilderrahmen und den Rahmen des Eisernen Kreuzes, und das wiedererlangte Stück Wirklichkeit verwandelte den Tod auf eine neuartige und fast spannende Weise in eine Art Tapeziererangelegenheit, fügte es fast mit Heiterkeit, daß man Helmuth mit seinem Sarg, dekoriert mit all seinen Blumen, wie ein neues Möbelstück in dieses Zimmer geschoben hatte, verengte das Unbegreifliche wieder so sehr ins Begreifliche und in die Kraft der Gewißheit, so sehr, daß das Erlebnis dieser Minuten- oder waren es bloß Sekunden gewesen?- in einem guten Gefühl ruhiger Zuversicht mündete. Der Vater erschien in Begleitung einiger Herren und Joachim hörte ihn wieder mehrmals sagen: »Er starb für die Ehre«. Doch als die Herren gegangen waren und Joachim wieder aUein zu sein glaubte, hörteer plötzlich neuerdings: »Er starb für die Ehre«, und sah den Vater klein und einsam neben dem Katafalk stehen. Er fühlte sich verpflichtet, auf ihn zuzugehen. »Komm, Vater«, sagte er und geleitete ihn hinaus. In der Tür sah ihn der Vater voll an und sagte: »Er starb für die Ehre«, als wollte er es auswendig lernen und als wünschte er, daß auch Joachim es täte.

Правообладателям