Читать книгу Opa, erzähl mir!. Aus dem Dialog zweier Generationen онлайн

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Bei solchen Gesprächen überfällt mich immer wieder dieselbe Erkenntnis: Der Reichtum, in dem wir heute leben, ist unverhältnismäßig und bizarr. Wir täten wohl gut daran, uns ein Beispiel an der Lebensweise jener Menschen zu nehmen, die maßgeblich dazu beitrugen, dass dieser Wohlstand unsere heutige Wirklichkeit darstellt. Es ist für mich immer wieder unverständlich, warum Opa von dieser Zeit, die geprägt war von Arbeit, Armut und noch schwererer Arbeit, fast ausschließlich positiv berichtet. Wenn man ihm zuhört, muss man immer wieder darauf achten, nicht in den schwärmerischen Wunsch zu verfallen, diese Zeit erleben zu dürfen. Denn rosig war sie sicherlich nicht. Warum erzählt er dann aber so erfreut davon?

Arbeit gibt dem Menschen Orientierung und Halt, er kann etwas tun, um seine Gegenwart und unmittelbare Zukunft zu verbessern. Bezogen auf die Feldarbeit bedeutet dies, er kann sich ihr völlig hingeben und weiß, er wird – höhere Gewalt ausgenommen – einen gerechten Lohn erhalten. Und Armut kann einen jungen Menschen dazu anspornen, noch härter zu arbeiten und alles für eine glücklichere Zukunft zu unternehmen. Doch allein hierin liegt die Erklärung wohl nicht: Dazu kommt noch der prägendste Charakterzug meines Großvaters, nämlich sein unbedingter Optimismus, der um jeden Preis das Gute sehen und sich nicht mit bedrückenden Ereignissen aufhalten wollte. Momente der Niedergeschlagenheit waren seiner Ansicht nach vergeudete Zeit. Der unbedingte Optimismus war die einzig denkbare Perspektive für ihn. Ob das immer klug war? Ich wage es zu bezweifeln, dass er seines Optimismus wegen nie bitter enttäuscht wurde. Seine Einstellung mutet aber derart an: „Wenn es diesmal auch nicht gelingt, ein nächstes Mal wird kommen. Und dann ein übernächstes. Ich versuche es jedes Mal, es wird mir sicher gelingen, wenn die Zeit reif ist.“ Er ließ den Dingen und sich Zeit, was dazu führte, dass alles in allem die Rechnung für ihn mehr als zufriedenstellend aufging. Er glaubte stets daran, dass er die Zukunft zu einer besseren machen könnte. „Ansonsten war beim Obernock vieles gleich wie auf anderen Höfen zur damaligen Zeit: Es gab weder Strom noch fließend Wasser, dementsprechend weder Badezimmer noch Kühlschrank. Dies führte dazu, dass Würmer in beinahe sämtliche Speisen Einzug hielten. Im Mehl waren immer welche zu finden; der Speck war, wenn er nicht gerade von Würmern befallen war, ranzig und beinahe ungenießbar. Aber wir einfachen Leute durften uns nicht beklagen, als Knecht musste ich mich mit dem ranzigen Speck zufriedengeben. Der stellte nämlich das einzige Fleisch dar, das ich erhielt. Man gewöhnt sich aber an alles. So machte es mir auch nichts aus, mich täglich ohne Seife im gleichen Wasser wie alle anderen Knechte zu waschen. Wir mussten, um hundert Liter Wasser zu holen, täglich über eine Stunde zu Fuß gehen, da kann man sich denken, wie sparsam wir damit umgegangen sind! Und wir haben trotzdem überlebt.“

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