Читать книгу Moderne Philosophiedidaktik. Basistexte онлайн

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Ich habe zwei didaktische Grundsätze vorgetragen, nämlich erstens, dass die Didaktik der Philosophie philosophisch ist, und zweitens, dass die Didaktik der Philosophie reflexionsbezogen ist. Aus beiden Grundsätzen habe ich je zwei unterrichtspraktische Folgen abgeleitet. Ich komme nun zu meinem dritten didaktischen Grundsatz. Er lautet: Didaktik der Philosophie hat einen Zeitkern. Damit ist gemeint, dass Didaktik unterrichtsbezogen ist und Unterricht sich nicht auf einer Metaebene abspielt, sondern auf einer empirischen. Daraus folgt, dass jede Didaktik die geschichtlich-gesellschaftlichen Umstände berücksichtigen muss, für die sie Didaktik sein will. Der erste Schritt einer Philosophiedidaktik muss deshalb eine Theorie der Moderne sein. Eine Theorie der Moderne, so meine ich, muss eine Theorie der Aufklärung sein, genauer: Sie muss die Gegenwart begreifen als eine Entwicklungsphase innerhalb der Selbstbewegung der Aufklärung.

Die Selbstbewegung der Aufklärung raubte dem europäisch-neuzeitlichen Subjekt sein Selbstverständnis: Es ist nicht in der Lage, sich auf sich selbst zu gründen. Diesen Umstand nenne ich »Identitätsnot«. Damit behaupte ich nicht, dass es früher keine »Identitätsnot« gegeben habe. Die Psychologie hat gezeigt, dass Identitätskrisen zur Individualgeschichte unabdingbar dazugehören. Darum aber geht es mir nicht. Vielmehr interessiert mich der Umstand, dass die Neuzeit ihr Selbstverständnis insgesamt einbüßt, weil und soweit es mit »Vernunft« verbunden ist und war. Die Identitätsnot, die ich meine, ist somit keine individualpsychologische, auch keine soziologische, sondern eine historische, objektive Not, die kraft Identifizierungen, wie dies Psychologen und Soziologen meinen, nicht überwunden, sondern nur individuell übertuscht werden kann. Jetzt wird vielleicht auch deutlich, weshalb ich zu Recht die Forderung aufgestellt habe, dass das Ziel des Philosophieunterrichts zu sein habe, die Identitätsnot zu überwinden. Dies Ziel ist sicherlich nicht erreichbar, sofern der Philosophie zugemutet wird, die Krise in ihrer Objektivität zu meistern. Die Philosophie aber, und nur die Philosophie, kann die Krise überhaupt erfassen. Deshalb hat der Philosophieunterricht wenigstens die Möglichkeit, den Schüler im Erkennen der Not zu lehren, sie auszuhalten. Der Philosophieunterricht, so folgt daraus, ist deshalb, ich sagte es bereits, nicht nur ein Ort der Wissensvermittlung, vielmehr erzeugt der Philosophieunterricht auch eine philosophische Haltung: methodische Ataraxie. Sie schützt den Schüler vor der Beunruhigung nicht durch das Leben, sondern durch die Philosophie. Denn das Leben wird den Schülern durch das philosophische Denken zur Beunruhigung. In diesem Sinne macht der Philosophieunterricht den Schüler überhaupt erst empfänglich für das Leben. Ataraxie verhindert den Umschlag des Denkens in Resignation. Sie ist kein operationalisierbares Verhalten; die Lernzieltheorie wird an ihr zuschanden. Die philosophische Haltung ist Bildung, ist das Selbstverständnis freien Denkens freier Menschen, wie Aristoteles sich ausdrückte. Das philosophische Denken ist frei, frei das, wodurch es bedingt ist, zu bestimmen. Die praktische Situation, aus der die Philosophie selbstverständlich auch stammt, wird in die theoretische Situation überschritten. Nur im Denken ist der Mensch frei. Voraussetzung dafür ist, dass sich der Denkende im Denken (also methodisch) aus seiner subjektiv-zufälligen Vereinzelung löst und zum Bewusstsein überhaupt, zum erkennenden Subjekt schlechthin wird. Die Bedingung der Freiheit ist die methodische Aufgabe der Vereinzelung und genau dies ist wahre Individualität, nämlich die Doppelung von empirischer Subjektivität und methodischer Transsubjektivität. Das Individuum gewinnt sich, indem es aus sich hinausgeht und sich als Bewusstsein überhaupt an der Wirklichkeit abarbeitet.

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