Читать книгу Die Tyrannei des Geldes. Henri-Frédéric Amiel über Besitz und Bürgertum онлайн

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Auf die Dauer lässt sich der gemeinsame Haushalt mit der Pfarrersfamilie nicht aufrechterhalten: «Zehn Jahre haben den Vorrat an gutem Willen aufgebraucht, und ich sollte auf eigenen Füssen stehen.» 1869 – als 48-Jähriger – bezieht Amiel erstmals eine eigene Wohnung. In die gleiche Zeit fällt sein erster und letzter ernsthafter Versuch, eine Familie zu gründen; er verlobt sich mit der Pastorentochter Anna Droin. Aber nach wenigen Wochen geben sich die beiden ihre Briefe und Geschenke zurück. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen: Amiel hat die stille Art der Verlobten als Tiefsinn und Abgeklärtheit interpretiert, Anna ihrerseits fühlt sich vom Anspruch auf gehaltvolle Gespräche und Briefe völlig überfordert.

Es bleibt ein Kreis anteilnehmender und bewundernder Freundinnen, von Aussenstehenden als les amiélines belächelt. Man trifft sich im Sommer und Herbst in den Kurorten am Léman zu gemeinsamen Ausflügen und Gesprächen, man wechselt Briefe. Als besondere Gunstbezeugung wertet es der Musenzirkel, wenn eine der Anhängerinnen ein Heft des Journal intime ausgeliehen erhält. Besonders die Lehrerin Fanny Mercier ist von der überragenden literarischen Bedeutung des Tagebuchs überzeugt. Sie ist es denn auch, die eine Auswahl markanter Passagen und Merksprüche zusammenstellt und nach Paris übermittelt, dies in den Monaten nach Amiels Tod. Denn in den späten 1870er-Jahren verschlechtert sich seine Gesundheit zusehends: Atemnot, Hustenkrämpfe, allgemeine Schwäche. Die Vorlesungen, an denen er bis Februar 1881 festhält, erschöpfen ihn immer mehr. Die letzten Monate verbringt er, kaum je das Haus verlassend, in der Pension von Berthe Vadier, einer weiteren Freundin, die er ma filleule nennt – seine Patentochter. Sie und ihre Mutter pflegen ihn aufopfernd; der letzte Eintrag im Journal ist denn auch ein Dank an ihre Hingabe. Er stammt vom 29. April; zehn Tage später stirbt Amiel. Das Krankenzimmer ist vollgestellt mit Blumen, Dosen voll Konfekt und anderen Geschenken, die in den letzten Wochen eingetroffen sind – «von Freunden, die zum Teil weit entfernt wohnen», wie er verwundert feststellt.

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